2024–06–11T10:30:00GMT+0200

Sami Tallberg ist der finnische Wildpflanzenexperte.

Ich bin ja mehr der Schnittlauchbutterbrottyp: Ein Stück Brot, fett bestrichen mit Butter, die ich mit Schnittlauch und grobkörnigem Salz gemischt habe, neuerdings auch mit Schnittlauchblüten – ein Trick, den ich auf einem der ungefähr hundert Instagramposts gesehen habe, die ich täglich anschaue. Wenns hochkommt, lege ich eines dieser niedlichen, aber fies bitteren Blätter Gundelrebe, die sich wie in allen Gärten auch in meinem breitmacht, oder eine Löwenzahnblüte darauf, das wars, ein super Sandwich.

Schnittlauchbutterbrottyp. Was ich aber gerne wäre: Eine Frühaufsteherin, die mit ihrem Körbli loszieht, um am Morgen Wurzeln zu sammeln, am Mittag, im Sonnenschein, Blüten und zwischendurch allerlei Pflanzenblätter. Im Wald, auf Wiesen, halt da, wos wild ist. Brennnesseln, Giersch, Gänseblümchen (bellis perennis, die einzige Pflanze, die ich aus unerfindlichen Gründen ohne nachzudenken lateinisch benennen kann), Schlüsselblumen, deren Saison viel zu kurz ausfällt. Aus allem lässt sich ein wunderbarer Brotaufstrich machen und noch eine ganze Menge mehr (Rouladen zum Beispiel, ich liebe Rouladen!).

Aber eben. Bis jetzt bin ich noch eher jemand, der morgens ausschläft und dann, wenn es ans Kochen geht, merkt, dass die Zeit nicht reicht, um durch den Wald zu streichen. Wildkräuter brauchen Zeit und Geduld. Und das Körbli habe ich immer noch nicht aus dem Keller geholt. Also schneide ich eine schöne Handvoll Thymian aus dem Topf und gebe die Kräuter aufs Honigbrot. Ist gut für die Gesundheit, sagt man, für die Abwehrkräfte und so. Wie fast alles, das in der Natur wächst.

Mit Kräutern beschäftige ich mich schon ein Leben lang, semi oberflächlich, würd ich sagen, ich hatte sogar schon eine Blumenpresse in Betrieb. Etwas intensiver erst seit diesem Jahr im Kräuterseminar, ich habe gelernt, wie man mit Pflanzen färben kann, welche Tees wofür gut sind und welche Bäume und Sträucher wann blühen und wie. Ich finde alles hochspannend – und lande doch immer wieder beim Essen. Und sei es nur, dass ich auf Wanderungen ständig Blüten und Blätter in den Mund stopfe.

«Eine Devise des Wildpflanzensammelns heisst: Nur pflücken, was man hundertprozentig kennt. Und im Übrigen sparsam sammeln sollte.» 

Ich habe an dieser Stelle schon einmal den Schriftsteller Henry David Thoreau zitiert, der einst schrieb: All good things are wild and free. Ich denke viel an diese schönen Worte. Vielleicht muss ich sie mir auf den Unterarm tätowieren lassen. Nötig wäre es eigentlich nicht. Ich erfahre es ja jeden Tag, selbst im grausten Herbst trete ich auf dem Heimweg auf Haselnüsse, die am Boden liegen, oder Kastanien.

Wenn es etwas gibt, wovon ich nie satt werde, sind es Pflanzenspaziergänge. Diese unternehme ich mit mir selber oder mit Menschen, die sich trauen mitzukommen (es geht das Gerücht um, dass ich zu einer sehr nervigen Person geworden bin, weil ich alle paar Meter stehen bleibe, Vorträge halte über die Knoblauchsrauke oder das Handy mit meiner Pflanzenapp über alles halte, was da wächst und blüht: Einerseits, weil ich neurotisch alles dreimal kontrollieren muss, andererseits, weil eine Devise des Wildpflanzensammelns heisst: Nur pflücken, was man hundertprozentig kennt. Und im Übrigen sparsam sammeln sollte). Es ist ja so: Je tiefer man in die Pflanzenwelt taucht, desto grösser wird diese, desto vielfältiger, desto faszinierender. Was bin ich demütig geworden in den letzten Monaten. Im Sinne von: Ich weiss, dass ich nichts weiss.

Spitzenwegrich

Der Spitzwegerich dient als Grundlage für Pesto.

Pflanzen

Kräuterwissen vermittelt vom finnischen Experten.

Letzthin war ich in Helsinki, und das ist jetzt kein so krasser Themenwechsel, wie es den Anschein macht. In der finnischen Hauptstadt war ich auf Wildkräutertour, und zwar im sogenannten Central Park, er liegt nicht gerade mitten in der Stadt, aber fast. Ich war mit einer internationalen Gruppe unterwegs, ein Glück, dass ich nicht alle Pflanzen auf Englisch herunterbeten kann (meine nervenden Vorträge!). Das übernahm unser Tourguide Sami Tallberg, er ist so was wie der finnische Wildpflanzenexperte. Er sagt, die Wildnis sei sein Garten, und so was beeindruckt mich ja immer sehr.

Wir sammelten also Schafgarbe, Löwenzahnblüten, Mädesüss, Fetthenne (die bei mir im Garten wächst, bei der ich aber noch nie auf die Idee gekommen wäre, sie zu brauchen), Gundelrebe, Lindenblätter, Flieder, wilde Stiefmütterchen (die einen leichten Geschmack von Kaugummi haben), Giersch, Sauerampfer und Fichtentriebe.  

Noch am Waldrand, gegenüber den Schrebergärten und doch sehr nahe an der Zivilisation, bereiteten wir in einer Schüssel auf dem Waldboden einen Salat zu, Sami hatte Maldon-Salz (aus irgendeinem Grund war ihm das sehr wichtig), eine Sauce aus Essig und Öl, Pfeffer und zerhackte Cashewnüsse mitgebracht. Wir mischten alles und füllten Portionen ab, ein bisschen so, wie wir früher die Bratwurst einpackten.

Es war der beste Salat, den ich seit Langem gegessen hatte. Ich hole bald mein Körbli aus dem Keller.

Wegrichpesto

Ein Wegerichpesto lässt sich auch kurz vor dem Mittagessen noch zubereiten.

Rezept

Ich liebe Pesto. Und ich verehre dieses Spitzwegerichpesto. Vielleicht, weil es einen Hauch von Wildheit mit sich trägt, wohl aber vor allem, weil ich es tatsächlich kurz vor dem Mittag zubereiten kann, es ist simpel und köstlich.

50 g junge Spitzwegerichblätter, gegen die Blattnerven in sehr fene Streifen schneiden
2–3 EL Olivenöl
1 Prise Salz, alles mit dem Mixstab zu einem Purée verarbeiten
20 g Baumnüsse, gemahlen
10–20 g Sbrinz oder Pecorino, raffeln
Schwarzer Pfeffer
Alles zur Kräutermasse geben und mit einem Löffel mischen

Schmeckt am besten auf geröstetem Brot, passt aber auch sehr gut zu Pasta.

Das Rezept stammt von Zita Thoma vom Inforama (Leiterin Team Höhere Berufsbildung Hauswirtschaft)


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