2024–06–11T10:40:00GMT+0200
Seife

«Zwischen der Idee für die Handcreme und dem fertigen Produkt sind etwa anderthalb Jahre vergangen – mit über 10000 Franken Kosten.»

Tulipan Zollinger bückt sich und greift ins Grüne. Er pflückt ein Kleeblatt aus der Wiese – ein vierblättriges. Ein paar Meter weiter findet er noch weitere. «Das passiert mir normalerweise nicht», sagt er und lacht. Dass er draussen auf die Pflanzen achtet, ist hingegen normal. Zusammen mit seinen drei Brüdern führt er in Les Evouettes Zollinger Bio, den grössten Schweizer Biohof für Saatgut. Hier im untersten Zipfel des Wallis, drei Kilometer entfernt vom Genfersee, produzieren die Zollingers Samen für 450 Pflanzen. Und Naturkosmetik.

Vor vier Jahren wurde die Marke Zizan!a gegründet, ihr erstes Produkt war eine feste Handseife. Auf die Idee brachten sie die Berge von Pflanzenabfällen, die die Saatgutproduktion jedes Jahr verursachte. Diese beinhalten eine gewisse Ironie. «Die Menschen kaufen unsere Samen, um neue Pflanzen zu ziehen», sagt Tulipan Zollinger. «Und wir werfen sie jedes Jahr kiloweise weg.» Kompostieren habe natürlich auch einen Nutzen, doch die Zollingers wollten aus diesen Pflanzen etwas herstellen. Gemüse und Früchte müssen sehr lange reifen, bis ihre Samen keimfähig sind, sie haben also den essbaren Zeitpunkt deutlich überschritten. Salat ist hochgestängelt, Tomaten sind überreif. Doch für Kosmetik lassen sich verschiedene Teile dieser Pflanzenabfälle noch sehr gut verwenden. Zum Beispiel das Wasser, das nach dem Entkernen der Tomaten übrigbleibt. «Ihm werden antioxidative Eigenschaften zugeschrieben», sagt Tulipan Zollinger. Antioxidantien sollen als Schutzmoleküle die Zellen gesund halten. Das Tomatenwasser ist der Hauptbestandteil im Toner von Zizan!a, einem Gesichtswasser, das befeuchtet und erfrischt.

Zizan!a-Initiant und -Chef Tulipan Zollinger.

Die Samen in «Seeds of Glow» peelen die Haut.

Bis aufs letzte Mikrogramm abgestimmt

Das erste Produkt von Zizan!a war 2020 eine Handseife, hergestellt von Tulipan Zollingers Cousin, der in Arosa eine Seifenmanufaktur betreibt. Als Inhaltsstoffe vom Hof wählten sie Blätter von Lavendel und von Tulsi, dem heiligen indischen Basilikum. Als nächstes Produkt folgte eine Handcreme. Die herzustellen, war einiges aufwendiger als eine Seife. Für die Rezepturen der Produkte arbeitete Zollinger mit Analeen Lavigne zusammen, einer Apothekerin mit Erfahrung in der Kosmetikindustrie. Die Herstellung der Produkte wurde an eine externe Firma übergeben. Bei der Entwicklung der Creme musste Tulipan Zollinger feststellen, wie ausgeklügelt und kompliziert die Formulierungen waren. «Damit am Schluss die Textur stimmt, müssen alle Inhaltsstoffe bis ins letzte Mikrogramm aufeinander abgestimmt sein», sagt er. Will man von einem Stoff mehr, müssen alle anderen neu kalibriert werden. Die auf dem Hof gewonnenen Inhalte können nicht beliebig in die Kosmetikprodukte gemischt werden. Und eine weitere Hürde gibt es: Jeder neue pflanzliche Stoff, der in einer Creme oder einem Shampoo verwendet werden soll, muss in der Schweiz zuerst zertifiziert werden. Das kostet Zeit und Geld. Zwischen der Idee für die Handcreme und dem fertigen Produkt sind etwa anderthalb Jahre vergangen – mit über 10 000 Franken Kosten.

«Damit am Schluss die Textur stimmt, müssen alle Inhaltsstoffe bis ins letzte Mikrogramm aufeinander abgestimmt sein.»

Traumhafte Texturen

Tulipan Zollinger hat Genetik und Pflanzenzüchtung studiert und war in der Pharmabranche tätig. Chemisches Vorwissen hatte er, doch für die Kosmetik hat er viel dazugelernt. Auch in anderen Bereichen, die über die Naturwissenschaft hinausgehen.  

Als der erste Prototyp für die Handcreme geliefert wurde und er sich ans Testen machte, wusste er nicht recht, wie er sie beschreiben sollte. «Ich fühlte mich wie ein Sommelier, der kein Vokabular für Wein hat», sagt er und lacht. Heute fällt es ihm leicht. «Unser Ziel ist es, traumhafte Texturen zu kreieren.» Was er mit traumhaft meint, führt er an den Produkten vor. «Die Handcreme soll pflegen und sofort einziehen. Unsere Hautcreme Cosmic Youth hat eine mousseartige Konsistenz, fast wie Schlagrahm.» Sie ist momentan das umsatzstärkste Produkt von Zizan!a. Sie enthält recyceltes Tomatenwasser und Traubenextrakt, die versprechen, die Haut glatt und geschmeidig zu machen. In der Handcreme sorgen Blütenwasser aus Kornblumen und Extrakt aus blauem Lein für Geschmeidigkeit. Neben Hauptpflege gibt es auch Zizan!a-Produkte für die Haare: feste Shampoos, ein fester Conditioner ist in den Startlöchern. Sämtliche Produkte sind vegan.

Mit chemischen Bestandteilen sei es einfacher, die gewünschte Textur oder das Gefühl auf der Haut zu erzeugen, sagt Zollinger. Doch Zizan!a hat getüftelt, bis es auch mit den natürlichen Bestandteilen klappte. Er will seiner Kundschaft zeigen, dass man mit Naturkosmetik auf nichts verzichten muss. Man solle sie nicht nur aus Ideologie verwenden und dafür einen unangenehmen Geruch oder eine ölige Konsistenz in Kauf nehmen. «Wir machen Naturkosmetik ohne Nachteile.»

Auch bei der Verpackung geht er keine Kompromisse ein. «Wir verwenden recycelte Materialien, die wieder recycelt werden können, Karton, Glas und PET.» Die Tube der Handcreme ist aus recycelten Holzschnitzeln. 

Das Design der Verpackungen fällt auf, jedes Produkt hat eine eigene Farbe und ist mit detailreichen, filigranen Zeichnungen versehen. Schaut man genau hin, verraten sie, welche pflanzlichen Stoffe im Produkt drin sind. Auf der Packung des Cleaners «Seeds of Glow», der auch als Maske verwendet werden kann, zeigt eine Mohnkapsel, welche Samen die Haut peelen. «Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine Gesichtsmaske verwenden würde», sagt Tulipan Zollinger. «Doch meine Haut fühlt sich danach so erfrischt an.» Dass die Produkte unisex sind, war keine Frage, auch wenn der grösste Teil der Kundschaft weiblich ist.

«Ich fühlte mich wie ein Sommelier, der kein Vokabular für Wein hat.»

Im Zizan!a-Sortiment finden sich verschiedene feste Shampoos.

Nebst dem festen Shampoo soll es bald einen festen Con­ditioner geben.

Biopionier-Familie

Tulipan Zollingers Eltern waren Biopioniere; Zollinger Bio feiert dieses Jahr das 40-Jahr-Jubiläum. 1991 zog die Familie ins Wallis, weil sie hier einen Hof übernehmen konnte. «Bei biologischen Pflanzen geht es länger als bei konventionellen, bis das Saatgut geerntet werden kann», sagt Zollinger. Im milden, damals schon schneearmen Klima gelingt das besser. Beim Besuch auf dem Hof Anfang Mai ist noch nicht viel zu sehen von der Vielfalt, die den Biohof schon sehr bald deutlich abheben wird von den Monokulturen, die ihn umgeben. Gemüse wird wachsen, Blumen blühen, Kräuter und Heilpflanzen duften. Etwa 225 Sorten werden jedes Jahr angebaut, «weil die Samen jahre- bis jahrzehntelang haltbar sind, muss nicht jedes Jahr das gesamte Sortiment gepflanzt werden», sagt Tulipan Zollinger, während er über den Hof marschiert.  

Mit grossen Maschinen werden die geernteten Samen von anderen Pflanzenteilen getrennt und in Säckchen abgepackt. Im Lager, wo 450 Sorten Samen darauf warten, an die Kundschaft verschickt zu werden, riecht es wie in einem Reformhaus. Der eigene Onlineshop ist der Hauptvertriebskanal von Zollinger Bio, auch für die Naturkosmetik.

Die Samen aus Les Evouettes befinden sich auch im Saatgut-Tresor auf den norwegischen Spitzbergen, eingeschlossen in einen Berg aus Eis, damit sie nicht verloren und vergessen gehen. Die allermeisten von Zollingers Samen werden jedoch von Hobbygärtnerinnen und Balkonenthusiasten bestellt, auch Marktfahrer oder einfach Leute, die Interesse an speziellen und alten Sorten haben, gehören dazu. Zum Beispiel an der runden ungarischen Paprika oder an den ersten Wassermelonen, die in der Schweiz angebaut wurden, zählt Tulipan Zollinger auf. Oder da gibt es eine Zucchetti namens Sultan. «Unglaublich», ist das Wort, das er benutzt, um den Geschmack dieses Gemüses zu beschreiben. 

Herausforderung Bio

«Bio ist eine Herausforderung», sagt er. «Dafür nachhaltiger, und die Sorten sind robuster als herkömmliche Pflanzen.» Doch sie verlangten mehr Wissen und Aufmerksamkeit, fügt er hinzu. Bis heute ist Bio eine Haltung, an der sich die Geister scheiden. Der Name von Zizan!a ist ein kleiner Seitenhieb in diese Richtung. Zizania ist einerseits der Name einer Pflanze (Wasserreis), auf Französisch jedoch bedeutet «semer la zizanie» Zwietracht säen, wie Tulipan Zollinger mit einem Lächeln erklärt. Etwas Neues wagen, sich gegen die Konventionen stellen, das ist in der DNA der Zollingers – nun auch in ihrer Naturkosmetik.

zizania.bio

 

Auch in der Seife helfen die Mohnsamen, die Haut zu peelen.

Die Seife eignet sich fürs Hände­waschen und die ­ ganze Körper­reinigung.


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