2023–09–07T16:00:00GMT+0200
Alex von Hettlingen

«Durch die intensive Behandlung ist der Boden zu einem reinen Substrat verkommen, in dem nichts mehr lebte.»

Schmetterlinge fliegen, Hummeln summen, Vögel singen. Auf dem Dach wohnt ein Krähenpaar. Rund um den Betrieb von Ruedi Bühler in Heimenhausen BE lebt es. Das kommt nicht von ungefähr. Angefangen hat alles mit dem Bach hinter dem Haus. 
Der war bei einer Melioration tiefergelegt worden, hatte ein Betonbett und war für Lebewesen ungeeignet. Bühler begann mit seinen Söhnen, ihn zu renaturieren. Das Wasser konnte wieder mäandernd fliessen, am Ufer entstand eine natürliche Vegetation mit Mädesüss, Bachlilien, Kresse, Wiesenknopf und diversen Schilfgräsern. Sie gaben Nährstoffe ins Wasser ab. Dadurch kamen Mikroben, die für Flohkrebse eine Lebensgrundlage bildeten. Auf sie folgten Libellen und andere Insekten, was Vögel anlockte. Das nährstoffreiche Wasser eignete sich auch für Fische. Der Fischereiaufseher setzte Forellen ein, die seit da gedeihen und sich vermehren. Haben sie abgelaicht, kommen Reiher und Kormorane und fressen die grossen Fische.

Bühler war beeindruckt. Die Prinzipien der Natur spielten wieder. «Das müsste doch auch beim Boden gehen», dachte er. Denn der machte ihm Sorgen. Er führte einen konventionellen Milchwirtschaftsbetrieb mit Kartoffel- und Ackerbau. Durch die intensive Behandlung sei der Boden zu einem reinen Substrat verkommen, in dem nichts mehr lebte. Zudem war Bühler abhängig. Was, wenn der Kunstdünger eingeschränkt werden muss, was, wenn Pestizide verboten werden. «Ich hätte nicht mehr weitergewusst», sagt er. So weit wollte er es nicht kommen lassen. Und setzte sich mit der regenerativen Landwirtschaft auseinander und begann, ihre Methoden anzuwenden. Er stellte nach kurzer Zeit eine Veränderung im Boden fest. Er wurde lockerer, konnte Wasser besser absorbieren und bot eine Grundlage für Lebewesen. 15 Jahre nutzte er die Methoden als konventioneller Bauer und stellte dann auf Bio um. Aber er war schon früh beeindruckt, wie die Pflanzen resistenter wurden, wie er weniger Kunstdünger und Pflanzenschutz brauchte und wie immer mehr Leben in die Böden kehrte. Die Mikroben lockten Würmer und Käfer an, diese wiederum Vögel und Amphibien. In einem kleinen Teich mitten im Kartoffelfeld leben mittlerweile Kreuzkröten, die Schnellkäfer fressen. Diese sind unerwünscht, denn ihre Larven sind die Drahtwürmer, die zu grossen Schäden der Kartoffel führen können.  

Ruedi Bühler und Alex von Hettlingen.

Ruedi Bühler (l.) und Alex von Hettlingen.

Doch was ist regenerative Landwirtschaft und welches sind die dazugehörigen Methoden?
Darüber weiss nicht nur Bauer Bühler, sondern auch Alex von Hettlingen Bescheid. Der Kommunikationsfachmann und Konsumentenschützer sitzt in Bühlers Garten an einem Tisch im Gras unter hohen Bäumen, wo es zwitschert und summt. Er erzählt, dass er vor fünf Jahren die Onlineplattform Regenerativ Schweiz aufgebaut hat, um Landwirten, die regenerativ produzieren wollen, Inspiration und Unterstützung zu geben und sie zu vernetzen. Zusammen mit dem Agronomen, Landwirt und landwirtschaftlichen Berater Simon Jöhr bietet er auf der Plattform «Regenerativ Schweiz» Kurse und Beratung an und veranstaltet regelmässig Online-Zusammenkünfte von Landwirtinnen und Landwirten, die auf die Methoden setzen. 2020 waren fünf Bauern in der «Regenerativ-Community», wie von Hettlingen sie nennt, heute sind es 250.

Erde in der Hand

Dem Boden geht es gut.

«Wir arbeiten in der regenerativen Landwirtschaft mit der Natur
und nicht gegen sie.»

Ruedi Bühler

Ruedi Bühler macht eine Spatenprobe.

«Schweizer Bauer»-Magazin: Warum brauchen wir die regenerative Landwirtschaft?
ALEX VON HETTLINGEN: Die regenerative Landwirtschaft ist unglaublich faszinierend, weil sie Lösungen für so viele unserer grossen Probleme bietet. Sie sorgt zum Beispiel durch die Wiederbelebung der Böden für gesunde und widerstandsfähige Kulturen, die weniger Pflanzenschutz gegen Schädlinge und Krankheiten benötigen. Und sie hilft den Kulturen, die immer häufigeren Wetterextreme besser zu überstehen: Die dank regenerativer Methoden biologisch aktiven und humusreichen Böden können in kurzer Zeit sehr viel Wasser aufnehmen und viel davon speichern, so dass die Böden bei Starkregen nicht abgeschwemmt werden und die Kulturen in Trockenzeiten lange mit Wasser versorgt werden. Wir arbeiten in der regenerativen Landwirtschaft mit der Natur und nicht gegen sie. 

Kartoffeln

Auch die Kartoffeln gedeihen in diesem Boden.

Wie kann das gelingen?
Die regenerative Landwirtschaft ist intensive Landwirtschaft. Aber sie nutzt zur Energiegewinnung konsequent die Sonnenenergie und die biologische Interaktion zwischen den Pflanzen und den Bodenorganismen: Die Pflanzen produzieren über die Photosynthese aus Wasser und Luft-CO2 eine Zuckerlösung, scheiden einen Teil davon über die Wurzeln aus und versorgen damit die Mikroorganismen im Boden mit Energie. Diese sorgen im Gegenzug dafür, dass die Pflanze mit genügend Nährstoffen aus dem Boden versorgt sind. Sie tun das aus Eigennutz, denn je gesünder eine Pflanze ist, desto mehr Zucker produziert sie für sie. Die Unterstützung dieser symbiotischen Vorgänge ist Voraussetzung für die Humusbildung im Boden. Der Humus bildet nicht nur das «Haus» für die Bodenorganismen, er ist die Grundlage für die Bodenfruchtbarkeit und für die langfristige und gesunde Lebensmittelversorgung der Menschen. Ein Grundsatz der regenerativen Landwirtschaft ist deshalb, dass der Boden stets bedeckt und durchwurzelt gehalten wird. Konkret gelingt das zum Beispiel durch Untersaaten, also Gräser und Kräuter, die in die Kulturen eingesät werden. Sie bleiben bei der Ernte der Hauptkultur stehen und schiessen danach durch den zusätzlichen Lichteinfall auf. Die Ernährung des Bodenbioms und die Humusbildung werden damit ununterbrochen sichergestellt. Die bestehende Grünfläche sorgt zudem dafür, dass die Sonne nicht ungebremst auf den nackten Boden auftrifft und ihn aufheizt und austrocknet.

Was sind weitere Methoden der regenerativen Landwirtschaft?
Der dauernd bedeckte Boden und damit seine stete Durchwurzelung sind zwei der fünf Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft. Dazu kommt das Prinzip der minimalen Bodenbearbeitung. Regenerative Landwirtinnen und Landwirte greifen nur wenn nötig auf den Pflug zurück und dann möglichst oberflächlich in den Boden ein. Und sie setzen beispielsweise auf die sogenannte Flächenrotte, bei der eine Unter- oder Zwischensaat drei bis fünf Zentimeter in den Boden eingearbeitet wird. So wird die Grünmasse dem Bodenleben zum Frass vorgeworfen und die darin enthaltenen Nährstoffe werden für den Aufwuchs der Folgekultur gespeichert. Bei gut belebtem Boden haben die Bakterien und Pilze die Pflanzenreste bereits nach zehn bis vierzehn Tagen zersetzt. Ist der Boden noch nicht so weit, stellt man durch die Zugabe von Fermenten sicher, dass keine Fäulnis entsteht. 
 

Was noch?
Eine Methode, um bestehende Bodenverdichtungen zu beheben, ist die Unterbodenlockerung. Der Boden wird mit einem Zahn, der 20 bis 30 Zentimeter in den Boden geht, angehoben. Das lässt ihn atmen. Danach wird er mit einer Walze wieder leicht angedrückt. Die Pflanzenwurzeln dringen sofort in die entstandenen Feinrisse im Boden und verhindern so, dass der Boden wieder in sich zusammenfällt.

Wurzeln

Die Wurzeln sind gesund.

Welches sind die zwei weiteren Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft? 
Die Integration von Tieren in die Produktion unterstützt unter anderem die Schliessung der betriebsinternen Nährstoffkreisläufe. Das fünfte Prinzip aber ist das Wichtigste von allen, es ist die Etablierung von maximaler Biodiversität. Regenerative Bäuerinnen und Bauern fördern konsequent die lokale Vielfalt von Pflanzen und Tieren – und zwar nicht nur in den Förderflächen, sondern immer auch in den Kulturen selbst. 
 

Im Umfeld der regenerativen Landwirtschaft hört man oft den Begriff «Komposttee».
Was ist das?

Komposttee ist eine wässrige Lösung voll von nützlichen Mikroorganismen, die aus dem Kompost extrahiert und dann vermehrt werden. Indem man den Tee auf die Blattoberflächen der Kulturen sprüht, verstärkt man deren Photosynthese und unterstützt somit den Pflanzen-Boden-Stoffwechsel, den ich vorhin erklärt habe. Die im Komposttee enthaltenen Mikroorganismen impfen zudem den Boden. Sie sind die Basis der Nahrungskette und für einen fruchtbaren Boden unentbehrlich.

Was können Landwirtinnen und Landwirte tun, die auf regenerative Landwirtschaft setzen wollen?
Als Erstes gilt es zu sagen, dass die Produktionsform keine Rolle spielt. Alle Bäuerinnen und Bauern, egal ob bio oder konventionell, können mit regenerativer Landwirtschaft beginnen. Die Belebung der Böden ist allerdings nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Die Transformation ist ein langer Prozess, auf dem vieles neu gedacht und gelernt werden muss und auch Fehler passieren. Wir empfehlen deshalb immer, nicht gleich den ganzen Betrieb umzustellen, sondern auf einem kleinen Teil erste Erfahrungen zu machen. Sobald die natürlichen Abläufe wieder zu spielen beginnen, ist das gewinnbringend für Pflanzen, Tiere und Menschen. Und langfristig lassen sich gute Erträge erzielen, während die Kosten sich verringern, da an Pflanzenschutzmitteln und Düngern gespart werden kann. 

 

Was können Konsumentinnen und Konsumenten tun, wenn sie diese Art der Landwirtschaft unterstützen wollen?
Sie können regenerative Produkte einkaufen. Auf unserer Internetseite sieht man zum Beispiel, wo es Höfe gibt, die auf regenerative Praktiken setzen. Den grössten und stärksten Hebel sehe ich aber bei der Sortimentsgestaltung der Detailhändler. Die Nachfrage nach solchen Produkten muss unbedingt bei den Verarbeitern und im Handel ankommen. Da müssen wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Denn wer die Zusammenhänge versteht, erkennt auch die immense Bedeutung der Bodengesundheit. 

regenerativ.ch

Agricultura Regeneratio

Regenerativ Schweiz ist vorwiegend eine online-basierte Lernplattform. Sie ist Mitglied bei der Dachorganisation der Regenerativen Landwirtschaft in der Schweiz, Agricultura Regeneratio, rund um den Präsidenten Daniel Bärtschi. Der Verband hat die eingetragene Marke «agricultura regeneratio» entwickelt. Landwirtschaftsbetriebe können damit ihre Produkte ausloben. «Sie steht dafür, dass die Bäuerinnen und Bauern schrittweise regenerative Praktiken umsetzen», heisst es beim Verein.

agricultura-regeneratio.ch

Soil to Soul

Soil to Soul ist eine internationale Bewegung, die 2021 in der Schweiz und Portugal entstanden ist. Themen sind der Erhalt des Bodens, die regenerative Landwirtschaft und der Zusammenhang einer verantwortungsvollen, gesunden und genussvollen Ernährung. Soil to Soul entwickelt Initiativen, publiziert und informiert, veranstaltet und vernetzt. Der Höhepunkt ist jeweils das jährliche Symposium und die öffentliche Veranstaltung im September in Zürich. Dieses Jahr ist Alex von Hettlingen Teil davon: als Teilnehmer an der Podiumsdiskussion zum Thema «Der Boden arbeitet für uns – wenn wir ihn lassen». Insgesamt finden am Symposium über 40 Veranstaltungen sowie der «Soil Food & Fermentista Market» statt. Sie sollen unserem Boden die verdiente Aufmerksamkeit schenken und die vernetzten Auswirkungen der Bodenabnutzung auf die Umwelt und unsere Gesundheit in den Mittelpunkt rücken. 

sotoso.com


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