2024–06–11T12:00:00GMT+0200
Erbsen

«Letztlich waren sie und ihr Mann überzeugt, dass Kühe in die hügelige Landschaft rund um den Hof gehörten, wo Gras besonders gut wächst.»

Sitzt ein Berner in Pruntrut im Bahnhofbuffet und isst eine Suppe. Neben ihm ein Welscher, der das Gleiche löffelt. «Bonne soupe, bonne soupe», sagt er immerzu. Worauf sich der Berner langsam zu ihm umdreht: «Was Bohnesuppe?! Ärbsesuppe! Dumme Siech!»

Dieser alte Schweizer Witz vermag nicht alle gleichermassen zum Lachen zu bringen. Er gibt aber Aufschluss über ein Lebensmittel, das in der Schweiz früher sehr verbreitet war. Die gute Erbssuppe. Dabei handelte es sich nicht etwa um eine Bouillon mit den grünen Erbsen, die wir heute kennen. Früher ass man Gelberbsen. Auch die Prinzessin auf der Erbse musste mit Gewissheit nicht auf einem grünen, weichen Erbsli schlafen, das hätte sie bestimmt nicht gequält. Es war die harte Gelberbse, die sie um den Schlaf brachte.

Vor 200 Jahren war die Gelberbse bei uns ein Hauptnahrungsmittel. Schon im 17. Jahrhundert hatten Wissenschaftler jedoch begonnen, die grünen Erbsen für die Königshäuser zu züchten. Die Adligen hoben sich damit vom Volk ab, das sich vom gelben Erbsenmus ernährte. Mit der Industrialisierung hatten auch die Menschen aus dem Volk mehr Fleisch und damit tierisches Eiweiss zur Verfügung, was pflanzliche Proteinquellen wie Hülsenfrüchte, zu denen die Gelberbse gehört, an Bedeutung verlieren liess. Zudem wurde die industrielle Konservierung von Lebensmitteln vorangetrieben. Die grünen Erbsen aus Büchsen, wie wir sie heute kennen, kamen auf den Markt. Sie liessen sich schneller zubereiten als die gelben, weshalb sie Letztere fast ganz aus den Küchen und von den Mittagstischen verdrängten.

Heute werden zwar in der Schweiz noch auf einer Fläche von rund 2425 Hektaren Gelberbsen angebaut. Sie werden aber hauptsächlich für die Ernährung von Tieren eingesetzt und in diesem Zusammenhang als «Eiweisserbsen» betitelt. Auf einem Teil der genannten Fläche wachsen auch Eiweiss­erbsen für die menschliche Ernährung. Wie viel genau, lässt sich aber nicht sagen. Dazu gibt es keine Erhebungen, wie Swiss Granum, die Branchenorganisation für Getreide, Ölsaaten und Eiweisspflanzen, ebenso wie der Schweizerische Getreideproduzentenverband sagen.

Portrait

Stephan Jaun und Ursina Steiner setzen seit einigen Jahren auf Gelberbsen.

Keine Tiere mehr?

Eine Bauernfamilie, die Eiweisserbsen oder eben Gelberbsen anbaut und sie ausschliesslich für die menschliche Ernährung einsetzt, sind Ursina Steiner und Stephan Jaun. Die beiden führen einen kleinen Betrieb von 10 Hektaren im bernischen Wattenwil. An einem nebligen Tag zu Beginn des Frühlings ist zwischen den grünen Hügeln des Gürbetals noch nicht viel von den Pflanzen zu sehen. Auf der Parzelle, auf der bald Erbsen gesät werden, steht noch die Gründüngung vom Winter als Bodenschutz. Agronomin Ursina Steiner steht davor und freut sich, dass die Kulturzeit bald beginnt. Im Jahr 2017 stellten sie und ihr Mann den klassischen Milchwirtschaftsbetrieb des Schwiegervaters auf Bio und Mutterkuhhaltung um und begannen alle Produkte direkt zu vermarkten. Während die Kühe bis dahin für die Proteinversorgung unter anderem Eiweisserbsen frassen, beschlossen Steiner und Jaun, dem Rindvieh ausschliesslich Raufutter, also Gras und Silage, zu geben. Ganz nach dem Prinzip «Feed no Food», verfüttere kein Essen. Sie kauften eine kleine Herde Rätisches Grauvieh, das mit dieser Fütterung besonders gut zurechtkommt. «Wir hatten uns sogar überlegt, ganz mit der Tierhaltung aufzuhören», erzählt Steiner. Letztlich waren sie und ihr Mann aber überzeugt, dass Kühe in die hügelige Landschaft rund um den Hof gehörten, wo Gras besonders gut wächst. Etwas später begannen sie Eiweisserbsen zu kultivieren. Sie verwendeten genau die gleiche Sorte, die andere für Tiere anbauen – aber für Menschen. Und sie sind zufrieden mit der Kultur. Die Erbsen können schon früh im Jahr gesät werden und haben deshalb einen Vorsprung aufs Unkraut, von dem sie sich danach kaum mehr verdrängen lassen.

Pflanze

Die Pflanze fixiert Stickstoff im Boden, wodurch er für die Folgekultur verfügbar ist.

Auf den Hügeln um Wattenwil gedeihen die Gelberbsen gut.

«Während der Blütezeit darf es nicht zu trocken sein, die Pflanze hat einen hohen Wasserbedarf.»

Auch Stephan Scheurer, Direktor von Swiss Granum, bestätigt, dass Gelberbsen grundsätzlich für die Schweizer Wetter- und Bodenbedingungen geeignet sind. «Während der Blütezeit darf es nicht zu trocken sein, die Pflanze hat einen hohen Wasserbedarf. Sie braucht keinen oder nur wenig Stickstoff und fixiert ihn im Boden, wodurch er für die Folgekultur verfügbar ist», sagt er. 

Mann

Stephan Jaun überblickt seine Kultur.

Bei Steiner und Jaun gedeiht die Pflanze seit einigen Jahren sehr gut. Und sie können die Gelberbsen gut vermarkten. Sie führen ein Catering und bieten Crêpes, Frozen Yogurt, Grilladen oder Apéros an. Anfang Frühling stehen ihre beiden Wagen mit der Aufschrift «Joli Mont» noch fast etwas trostlos neben dem Haus. Im Sommer hat der eine davon seinen Platz gefunden und ist nun die siebte Saison im Strandbad Thun, wo Mitarbeitende von Steiner und Jaun Crêpes und Frozen Yogurt an Badegäste verkaufen. Mit dem zweiten Wagen fahren sie an Geburtstagsfeiern, Firmenfeste und Hochzeiten. Ihre Crêpes bieten sie zum Beispiel mit Hummus aus Gelberbsen an, zum Apéro gibts Falafel aus eben diesen, und Steiner macht sogar Mayonnaise und eine Art Nutella aus den Hülsenfrüchten, wie sich später zeigt. Die wenigen Gelberbsen, die sie nicht über ihr Catering verkaufen, sind beim Bioversandhandel Biomondo erhältlich ebenso wie Mehl aus Gelberbsen, aus dem sich ganz leicht Falafel machen lassen.

 

 

Pflanzen
Feld

Ursina Steiner erfreut sich an den Pflanzen.

Interesse von Unternehmen

Nebst direktvermarktenden Bauernfamilien wie Steiner und Jaun gibt es mittlerweile auch kleinere Firmen und grössere Unternehmen, die auf Gelberbsen aus der Schweiz setzen. Fabas zum Beispiel, das Startup aus Zürich, hat Falafel aus Schweizer Gelberbsen im Sortiment. Das Green-Mountain-Projekt der Coop-Tochter Hilcona hat sich auf Fleischersatzprodukte spezialisiert und verwendet dafür unter anderem Gelberbsen. Entweder direkt, als Mehl, als Proteinkonzentrat oder -isolat. Momentan nutzen die Hersteller dafür jedoch noch kaum Schweizer Gelberbsen, obwohl das Projekt The Green Mountain darauf ausgerichtet sei, «verschiedene Sorten und Standorte auszuprobieren und mit den daraus gewonnenen Rohwaren Versuche zu machen», wie Andreas Messerli, Leiter der Hilcona Agrar, sagt. Ein erster Konzeptversuch mit Schweizer Gelberbsen wurde letzten Herbst unternommen. Konkret heisst das, dass sich in Schweizer Läden während kurzer Zeit sogenannte Chicken Chunks aus heimischen Rohstoffen fanden. Und wie Messerli sagt, arbeiten sie «mit Hochdruck an der Fortsetzung». Ob sie langfristig alle Gelberbsen für ihre Produkte aus der Schweiz beziehen werden, komme «auf das Marktfeedback und die Konsumentenbedürfnisse an», so Messerli. «Schweizer Rohwaren sind nun mal teurer als importierte, was sich im Preis niederschlägt.» Deshalb sei es von der Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden abhängig, wie stark sie auf hiesige Gelberbsen setzen werden.

«Es schmeckt alles wunderbar. Der Schokoladen­aufstrich aus Gelberbsen ist geradezu eine Offenbarung.»

Erbsen
«Sehr anspruchsvoll»

Allgemein gilt bezüglich des Potenzials von Gelberbsen in der Schweiz, dass es momentan noch keinen Richtpreis gibt für Gelberbsen für die menschliche Ernährung. Und dass für diesen Rohstoff kein Grenzschutz besteht, was die Vermarktung aufgrund der günstigen Konkurrenz aus dem Ausland erschwert. «Für die inländische Produktion dürfte es wegen des fehlendes Zollschutzes sehr anspruchsvoll werden, in diesem Bereich Fuss zu fassen», sagt Daniel Erdin, Leiter von Agrostat, dem statistischen Dienst des Bauernverbands.

Bei Steiner und Jaun vom Joli Mont hat die Kultur bereits Fuss gefasst. Mittlerweile steht Steiner vor einem Glastisch. Er ist übersät mit Gerichten. Alle bestehen aus Gelberbsen oder enthalten die Hülsenfrüchte. Auf dem Glastisch sehen sie aus, als würden sie über dem Boden schweben. Ein Curry, Falafel, Salat, Hummus, Brot, eine Mayonnaise, die statt Eier das Wasser von gekochten Gelberbsen enthält. Und sogar ein Schokolade-Brotaufstrich, dessen Grundlage natürlich Gelberbsen sind. Es schmeckt alles wunderbar. Der Schokoladenaufstrich ist geradezu eine Offenbarung. Da will man kaum mehr auf den problematischen Marktführer aus Italien zurückgreifen. Zudem sind die Produkte aus Gelberbsen gesund. Früher wie heute sind sie hervorragende Proteinlieferanten. Und wie die Tafel von Steiner zeigt, lassen sich bei allen Rezepten Kichererbsen sehr gut durch Gelberbsen ersetzen, die hier laut der Agronomin Steiner deutlich besser gedeihen als Erstere. Allgemein wird sich zeigen, wohin der Weg der pflanzlichen Proteine für die menschliche Ernährung in der Schweiz geht. Erdin von Agrostat, sagt, dass «2023 offensichtlich erstmals grössere Mengen von Körnerleguminosen – also Hülsenfrüchte – in den Nahrungsmittelkanal gelangten». Wobei «grössere Mengen» relativ sei, weil die absoluten Zahlen noch immer bescheiden seien.  

In bestimmten Nischen hat die Kultur aber jetzt schon ihre Berechtigung. Und wer weiss, vielleicht werden Gelberbsen eines Tages doch wieder zur festen Kultur bei uns und vermehrt Teil unseres Menüplans. Das wäre nicht nur für unsere Ernährung gut. Es wäre auch für Landwirtinnen und Landwirte erfreulich, die auf diese Kulturen setzen wollen. Und es würde auch der Witz aus dem Bahnhofbuffet in Pruntrut wieder an Aktualität gewinnen.

joli-mont.ch

«Wer weiss, vielleicht werden Gelberbsen eines Tages doch wieder zur festen Kultur bei uns und vermehrt Teil unseres Menüplans.» 

Erbsen

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