2024–06–11T11:30:00GMT+0200
Wasser

«Dass wir mit Trockenheitsperioden und Extremwetterereignissen ein Problem haben, muss man in der Landwirtschaft niemandem erklären.»

Wer weiss, was hier speziell ist, erkennt es bereits bei der Ankunft auf dem Katzhof. Dieser liegt idyllisch auf 650 Metern über Meer über dem Wiggertal im nördlichsten Teil des Kantons Luzern. Aber noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen, und entsprechend klein sind die mehr als 250 gepflanzten Sträucher und Bäume – im hohen Gras sind sie kaum zu sehen. Noch weniger sichtbar sind die Gräben und Wälle, auf denen die Bäume stehen. Sie wurden entlang der Höhenlinien angelegt mit dem Ziel, wenn Wasser im Übermass vorhanden ist, dieses zu sammeln, zu lenken und für trockenere Zeiten zu speichern. So funktioniert sehr vereinfacht beschrieben das Keyline Design. 

Markus Schwegler, der vor zehn Jahren zusammen mit seiner auf dem Katzhof aufgewachsenen Frau Claudia Meierhans den Hof übernommen hat, setzt seit 2023 dieses Konzept in grossem Stil um. Auf der Hügelkuppe oberhalb des Hofs liegen die Ackerflächen, wo aktuell Lein, Einkorn und Dinkel wachsen. «Hier haben wir im Abstand von 42 Metern entlang der Höhenlinien zwei Gräben mit einer Gesamtlänge von 550 Metern ausgehoben und auf den Wällen, die unterhalb der Gräben entstanden sind, Kastanien und Holunder gepflanzt», zeigt der Katzhof-Bauer sowohl auf dem mitgebrachten Plan als auch direkt im Gelände sein Projekt. Das Ziel: Bei Starkniederschlag sammelt sich das Wasser in den Gräben und versickert dort langsam. Regnet es mehr, als der Boden schlucken kann, wird das Wasser entlang der Dämme zum Sammelbecken, dem sogenannten Retentionsbecken geleitet, wo es in trockenen Phasen zum Bewässern zur Verfügung steht. Die Wurzeln der Bäume und Sträucher sorgen zusätzlich dafür, dass das Wasser tief in die Erde gelangt und der Wall stabil bleibt.

Markus

Markus Schwegler in einem der Gräben, die sein Gemüsefeld umgeben. Das Wasser fliesst dort durch Rohre im Boden, wo Maschinen die Schlüssellinien passieren können müssen.

Herausforderung Gemüseanbau

Angefangen hat aber alles mit dem Gemüse. Die Trockenheit in den Jahren 2015, 2018, 2019 und 2022, aber auch die grosse Nässe 2021 bereiteten im Gemüsebau immense Schwierigkeiten. Zwar sind die hier vorhandenen sandigen Lehmböden grundsätzlich sehr gut für den Gemüseanbau geeignet, aber sie trocknen rasch aus, und der an dieser exponierten Lage oft starke Wind trägt sie leicht weg. Zu Beginn legte der biodynamisch ausgebildete Landwirt die Gemüsekulturen relativ klassisch an: «Anfang Jahr brachen wir eine Fläche um, unterteilten sie in Schläge von fünf Aren und pflanzten und säten nach und nach Karotten, Kartoffeln und weitere Gemüsekulturen. Teilweise dauerte es mehrere Monate, bis auf gewissen Flächen etwas wuchs. Der Boden war lange offen, was die Erosion förderte.» 

Vor sechs Jahren begann er deshalb, die Wege zwischen den Beeten zu begrünen. Aber nicht nur der Gemüseanbau, sondern auch das Etablieren des Weggrüns ist sowohl bei Trockenheit als auch bei übermässiger Nässe nicht so einfach. Eine andere Lösung musste her. Gleich viel Beete wie Grün lautete das neue Ziel. Beete in langen, 75 cm breiten Streifen und dazwischen ebenso breite Grünstreifen, die nun nicht mehr jedes Jahr umgebrochen werden, sondern dauerhaft angelegt sind, sollen es werden. Die Grasflächen können sich etablieren und tiefe Wurzeln ausbilden. Denn das Gras dient nicht nur als Weg, sondern hält den Wind ein Stück weit ab, und die tiefe Durchwurzelung speichert das Wasser im Boden, wovon die Gemüsekulturen profitieren. «Da ich es gerne schön mag, habe ich begonnen, Pläne zu zeichnen, wie die Beete angelegt werden könnten. Dabei bin ich ausschliesslich nach ästhetischen Aspekten vorgegangen.» In seiner Recherche stiess Markus Schwegler jedoch auf ein Webinar des deutschen Keyline-Pioniers Philipp Gerhardt. «Da gingen mir grad mehrere Lämpli an, denn Gerhardt kombiniert das Nützliche mit dem Ästhetischen», erinnert sich Schwegler an die Begegnung vor drei Jahren.

«Dieses Wasser zu bremsen, versickern zu lassen und zu speichern, ist das Ziel von ‹Slow Water›.»

Wasser
Viele Fragen

Aus dem anfänglichen Plan, nur die Gemüsebeete im Keyline Design anzulegen, wurde in Zusammenarbeit mit Gerhardt ein Projekt für rund 70 Prozent der Betriebsflächen. Über ein Jahr lang dauerte die Planung: Die Topografie musste genau erfasst werden, um zu erkennen, wo wie viel Gefälle herrscht. Wo braucht es welche Breiten? Wo kommen welche Maschinen zum Einsatz? Wo müssen welche Durchgänge offen bleiben? Wo wird das Wasser am meisten gebraucht? Wo werden die Speicherbecken am sinnvollsten in die bestehende Hofinfrastruktur integriert? Und natürlich auch: Welche Pflanzen sollen in diesem System wachsen? «Mir war es wichtig, zu überlegen, was wir gerne essen und womit ich gerne arbeite. Denn ich werde die nächsten 20 bis 30 Jahre mit den jetzt gepflanzten Bäumen zu tun haben. Was der Markt dann nachfragen wird, steht in den Sternen, aber meine Vorlieben kenne ich.» Da er sich in der Vegetationszeit deutlich häufiger in den Gemüsebeeten als auf den Ackerflächen aufhält, wurden hier die intensiveren Gehölzkulturen wie Johannisbeeren und Niederstammobst angepflanzt. Auch liegen die Hauptlinien hier mit 24 Metern halb so weit auseinander wie weiter oben im Acker.

Eine weitere grosse Frage: Wie wird das Projekt finanziert? 170000 Franken beträgt das Projektbudget auf dem Katzhof, das Planung, Umsetzung und Pflanzgut beinhaltet. «Das ist viel Geld. Aber wenn man es ins Verhältnis setzt zu den Ausgaben, die für Maschinen getätigt werden, die alle paar Jahre ersetzt werden müssen, ist es nicht mehr viel. Denn dieses System ist eine sehr langfristige Investition. Und wenn es den Banken und Behörden ernst ist mit der Klimaresilienz, dann wird es künftig auch einfacher, für solche Projekte Kredite zu bekommen. Wir hatten das Glück, es über Stiftungen finanzieren zu können.»

Die geplanten Wasserströme sind auf einem Plan detailliert einge­zeichnet.

«Da ich es gerne schön mag, habe ich begonnen, Pläne zu zeichnen, wie die Beete angelegt werden könnten. Dabei bin ich ausschliesslich nach ästhetischen Aspekten vorgegangen.»

Ein Gewinn für alle

Das Projekt von Familie Schwegler-Meierhans ist schweizweit in dieser Grössenordnung noch einzigartig. Das soll sich aber ändern. Zusammen mit dem Kanton Luzern hat das Landwirtschaftszentrum Ebenrain Anfang dieses Jahres das Projekt «Slow Water» lanciert, das ebenfalls die nachhaltige Nutzung des Wassers im Fokus hat. «Starkniederschläge, die heute deutlich häufiger auftreten als früher, sind genauso ein Problem wie Trockenheit, da sie zu Erosion führen, wenn das Wasser zu schnell abfliesst», erklärt Sereina Grieder, die das Projekt am Ebenrain leitet. «Dieses Wasser zu bremsen, versickern zu lassen und zu speichern, ist das Ziel von ‹Slow Water›.» Damit soll nicht nur die Landwirtschaft zuverlässiger Wasser zur Verfügung haben, sondern auch die Gemeinden und die Bevölkerung sollen profitieren, wenn in Trockenzeiten weniger Wasser aus dem Gemeindenetz für die Landwirtschaft gebraucht, das Abwassernetz bei Starkregen nicht überlastet wird und weniger Schäden an Infrastruktur wie beispielsweise Feldwegen entstehen», so die Agronomin weiter.

Um Erfahrungen zu sammeln, sucht der Ebenrain im Baselbieter Projektperimeter, der elf Gemeinden im Oberbaselbiet und ein Gebiet in Riehen umfasst, Landwirtschaftsbetriebe, die bereit sind, Massnahmen umzusetzen, Erfahrungen zu sammeln und Ergebnisse zu messen. Für die wissenschaftliche Auswertung wird mit der Universität Basel zusammengearbeitet. Rund 40 Betriebe beziehungsweise rund ein Viertel der Eingeladenen sind am Infoanlass Ende Februar erschienen. «Dass wir mit Trockenheitsperioden und Extremwetterereignissen ein Problem haben, muss man in der Landwirtschaft niemandem erklären. Viele haben auch schon länger einzelne Elemente umgesetzt», sagt Grieder.

Felder

Auch die Gemüsebeete wurden auf dem Katzhof an den Höhen­linien ausgerichtet.

Feld

Die Messstation misst sowohl die Regenmenge als auch die Bodenfeuchte.

Massgeschneiderte Konzepte

Neben den Massnahmen, die im Keyline Design vorgesehen sind und auf dem Katzhof umgesetzt werden, stehen weitere Möglichkeiten zum Wasserrückhalt zur Verfügung: Untersaaten, die den Boden besser bedecken und durchwurzeln, schonende Bodenbearbeitung, extensiv genutzte Wiesen, Weiden und Brachen, Säume auf Ackerland, zur Wasserspeicherung umgenutzte Drainageleitungen und jegliche Massnahmen, die den Humusaufbau fördern, dienen dem gleichen Ziel. Welche dieser Massnahme am effizientesten ist, kann die Projektleiterin nicht sagen. «Es fehlen uns noch die Erfahrungswerte. Wir sind aber sicher, dass es wichtig ist, Massnahmen zu kombinieren und je nach Topografie und Betrieb ganz individuell vorzugehen.» Bei dieser individuellen Konzeptionierung berät der Ebenrain die Betriebe. Das Projekt läuft die kommenden sechs Jahre, zwei Jahre länger werden noch Daten erhoben, bevor der Schlussbericht erstellt wird.

Das Vorzeigeprojekt

Während das «Slow Water»-Projekt noch ganz am Anfang steht, wurden auf dem Katzhof bereits vor einem Jahr Gräben und Wälle angelegt sowie Bäume gepflanzt. Entsprechend wurde er zum Pilotbetrieb. «Das Keyline Design ist noch nicht sehr bekannt. Deshalb ist es für unser Projekt super, dass wir das schon so konkret auf einem Betrieb zeigen können», zeigt sich Sereina Grieder erfreut. Für Markus Schwegler, der in der Begleitgruppe mitarbeitet, sind die dort gewonnenen Kontakte und Einblicke wiederum Gold wert. Über das «Slow Water»-Projekt wurde ihm zudem eine Messstation finanziert, welche die Bodenfeuchte und die Regenmenge misst. Noch stehen Resultate und Analysen aus. «Der Forschungsaspekt ist noch nicht gross in unserem Projekt, aber ich bin sehr gespannt, was noch kommt, und natürlich, welche Resultate über die Jahre erzielt werden.»

Salat
Weitere Infos

Markus Schwegler ist überzeugt von dem, was er macht, und gibt sein Wissen gerne weiter. Deshalb hat er für das Wasserprojekt auf dem Katzhof eine eigene Website erstellt, auf der viel Hintergrundwissen vermittelt wird und wo die Fortschritte verfolgt werden können. 

wasserkultur.ch

 

 


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