2023–09–13T16:00:00GMT+0200
Anita Leuthold

Anita Leuthold führt mit ihrem Team den Laden Kerngrün.

«Lupinen gedeihen in der Schweiz und müssen nicht über Kontinente oder Ozeane hinweg transportiert werden.»

«Mittlerweile ist jeder fünfte Kaffee, den wir verkaufen, ein Lupinenkaffee.» Das sagt Anita Leuthold. Die 34-jährige Umweltingenieurin führt in Richterswil ZH zusammen mit ihrem Team den Laden von «Kerngrün». Ziel des Ladens und des dazugehörigen Onlineshops kerngruen.ch ist es, Lebensmittel, Naturweine etc. von Kleinmanufakturen und landwirtschaftlichen Betrieben zu vermarkten. Bauern, die Rohstoffe anbauen und Produkte herstellen, deren Kernkompetenzen aber nicht unbedingt bei Marketing und Verkaufsstrategien liegen. Letzteres nimmt Kerngrün ihnen ab. Das ist auch das Prinzip bei der Vermarktung des Lupinenkaffees. Weil Leuthold in dem Getränk grosses Potenzial sah, kontaktierten sie und ihr Team Bauern. Seit letztem Jahr bauen sie für Kerngrün Lupinen an. Weisse Süsslupinen. Das ist eine andere Sorte als die, die man in Gärten sieht. Röstet man ihre Bohnen, bekommt man etwas, das Kaffeebohnen nahekommt.

Während Leuthold erzählt, lässt sie aus der Siebträgermaschine einen Lupinenkaffee fliessen. Vor der grüngestrichenen Wand, auf der in goldenen Lettern das Angebot angeschlagen ist, ergiesst sich das Getränk etwas dünnflüssiger als normaler Kaffee in die Tasse. Kostet man ihn, ist es leicht sauer und bitter, wie Kaffee, aber auch mit einer süsslichen Note. «Er erinnert an Caramel und Schokolade», heisst es auf dem Flyer, auf dem der Lupinenkaffee beschrieben ist. Und Leuthold sagt, dass er mit geschäumtem Haferdrink am besten schmecke. Sie giesst etwas davon dazu. Tatsächlich. Das harmoniert. Die Süsse tritt stärker hervor und ein leicht nussiger Geschmack entfaltet sich.

Kerngrün in Richterswil

Im Kerngrün in Richterswil ZH gibt es unter anderem Lupinenkaffee.

«Lupinenkaffee wird den klassischen nie vollständig ersetzen», sagt Leuthold und nippt auch an ihrem Getränk. Aber die Nachfrage sei steigend, und die Vorteile der Lupinenbohnen liegen auf der Hand: Leute, die wegen des Koffeins weniger Kaffee trinken wollen, können auf sie zurückgreifen. Lupinenbohnen sind von Natur aus koffeinfrei und müssen nicht – wie der richtige Kaffee – in aufwendigen chemischen Verfahren davon befreit werden. Auf Koffein verzichten zum Beispiel Schwangere, Leute, die sonst schon viel Kaffee trinken, oder Kinder. Aber auch Frauen zwischen 30 und 40, die auf ihre Gesundheit achteten und glauben, dass ihnen Koffein nicht guttut, zählten zu ihrer Kundschaft, so Leuthold. In der Tat liest man auf einigen Gesundheitsplattformen und in den sozialen Medien den subjektiven Befund mancher Leute, dass Kaffee bei ihnen Angstzustände verstärkte. Auch objektiv nachvollziehbar sind die ökologischen Vorteile der Kaffeealternative. Lupinen gedeihen in der Schweiz und müssen nicht über Kontinente oder Ozeane hinweg transportiert werden. Allfällige prekäre Arbeitsbedingungen in anderen Ländern fallen ebenfalls weg. Durch den Kauf von Lupinenkaffee unterstützen Konsumentinnen vielmehr hiesige Bauern.

Lupinen Kaffee

Die Lupinen in diesem Kaffee wachsen in Kanton Zürich.

Lupinen Kaffee

Der Lupinenkaffee von Kerngrün kommt modern daher.

Tatsächlich ist die Kultur für Landwirte interessant: «Wir haben schnell Bauern gefunden, die etwas Neues ausprobieren wollten und Interesse an Lupinen hatten», erzählt Leuthold. Das ist kein Wunder. Lupinen, die zu der Gattung der Leguminosen gehören, sind gut für den Boden. Sie verfügen über sogenannte Knöllchenbakterien. Diesen gelingt es, den Stickstoff aus der Luft zu fixieren, was einer Art natürlichen Düngung gleichkommt und auch für die Kultur, die nach den Lupinen aufs Feld kommt, Vorteile bringt. Dieses Jahr arbeitet Leuthold mit einer Bäuerin und zwei Bauern zusammen, die sich auf die neue Kultur einliessen: Kathrin Haab aus Bachs ZH, Sandro Hiestand aus Samstagern ZH und Simon Meier aus Kestenholz SO. Leuthold ist aber auf der Suche nach neuen Produzenten, nicht unbedingt im Kanton Zürich, aber etwa im Graubünden. Daraus gäbe es dann einen Bündner Kaffee und aus jenem aus Solothurn und benachbarten Kantonen zum Beispiel einen Jurabogen-Kaffee. 

«Die Bauern haben den Vorteil, dass sie sich um den Anbau kümmern können. Den Rest organisieren wir», sagt Leuthold: die Trocknung, die Überwachung der Inhaltsstoffe (bei Lupinen muss der Alkaloidwert, der in zu grossen Mengen giftig sein kann, im Auge behalten werden), die Röstung, das Produktdesign und die Vermarktung. Leuthold verkauft den Kaffee in ihrem Laden, über die Internetseite und er ist in Restaurants und Läden der Stadt Zürich und Umgebung zu kaufen. «Wir machen gar nicht gross Werbung», sagt Leuthold. Das Interesse bestehe und eins führe zum andern. «Bis jetzt haben sich etwa ein Dutzend Leute von selbst bei uns gemeldet, die den Kaffee verkaufen oder ausschenken wollen.»
 

‣ lupinenkaffee.ch

Vom Interesse am Lupinenkaffee profitieren auch Beatrice Peter und Jorge Vásquez. Sie setzen seit vier Jahren darauf. Anders als die Bauern, die ihre Bohnen zum Beispiel an Kerngrün liefern, gehen sie den ganzen Weg selbst. Von der Aussaat bis zur Vermarktung an die Konsumentinnen. 

Lupinen

«Einige Lupinen blühen noch, auf dem benachbarten Feld bilden sich bereits Schoten, in denen die Bohnen heranreifen.»

Während draussen vom schwarzgewordenen Himmel Regen niederprasselt wie lange nicht mehr, sitzen Peter und Vásquez in der Küche des Grüthofs in Wildensbuch ZH und erzählen, wie sie dazu gekommen sind. Der Besuch umklammert derweil mit kalten Händen die warmen Tassen mit dem Lupinenkaffee, Dampf steigt aus den Tassen auf und der Geruch von Kaffee. Auch dieser ist etwas dünnflüssiger als echter, er enthält ebenfalls saure und bittere Noten, ist aber etwas milder als jener aus dem Kerngrün. Peter hat ihn in der Mokka-Kanne aufgebrüht, nicht wie Leuthold, die in Richterswil eine Siebträgermaschine benutzt hat. Die Zubereitungsarten machen einen grossen Unterscheid. Ebenso die Röstung – und die Sorten. Peter und Vásquez verwenden für ihren Kaffee die Schmalblättrige Lupine und nicht die Süsse.

Allgemein gebe es noch sehr viel herauszufinden, wenn es um Lupinenkaffee gehe, sagt Vásquez. Er hat in Peru Ökonomie studiert und in der Schweiz Landwirt gelernt. Seine Frau ist auf dem Grüthof aufgewachsen und ist Biologin. Sie haben gute Voraussetzungen, um die neue Kultur zu verstehen. Und doch: «Beim Kaffee hat man schon unglaubliche Forschungen betrieben rund um Sorten, Röstung, Zubereitung etc.», sagt Vásquez. Beim Lupinenkaffee stehe man noch ganz am Anfang. Sehr viel haben er und seine Frau sich diesbezüglich selbst angeeignet.

Jorge Vásquez und Beatrice Peter.

Jorge Vásquez und Beatrice Peter.

Lupinen

Lupinenbohnen reifen in Schoten.

Jorge Vásquez

Jorge Vásquez prüft den Zustand der Lupinenschoten.

«Die Kultur ist nicht ganz einfach. Sie ist anfällig auf Krankheiten, gerade wenn es zu feucht ist.»

Als der Regen aufgehört hat, und die Sonne wieder so unerbittlich vom Himmel zu scheinen beginnt wie in den Wochen zuvor, gehen Peter und Vásquez aufs Feld, um die Herausforderungen aufzuzeigen. Einige Lupinen blühen noch, auf dem benachbarten Feld bilden sich bereits Schoten, in denen die Bohnen heranreifen. Jene, die noch blühen, hat Vásquez etwas später gesät, weil die erste Charge nicht keimte. Die Kultur sei nicht ganz einfach, sagt er. Sie sei anfällig auf Krankheiten, gerade wenn es zu feucht sei. Und der Boden in der Schweiz sei vom Säuregehalt her nicht ideal für Lupinen. Um sich gegen Ausfälle abzusichern, bauen Vásquez und Peter die Lupinen in einer Mischkultur mit Leindotter an. Die Kulturen wachsen auf dem gleichen Feld.

Geht mit den Lupinen etwas schief, bleibt ihnen noch der Leindotter, eine sehr alte Kulturpflanze. Gedeihen beide, lassen sie sich gleichzeitig dreschen. Während die Lupinenbohnen später zu Kaffee geröstet werden, gibt es aus den Samen des Leindotters hochwertiges Öl. Der Vorteil des Leindotters ist zudem, dass er das Wachstum von Unkraut weitgehend unterdrückt, ohne dass er die Lupinen schwächt. Das ist für sie als Biobauern von grosser Bedeutung, da sie keine chemischen Pflanzenschutzmittel einsetzen.

Lupinenbohnen

Aus diesen Lupinenbohnen wird Kaffee.

Lupinenwurzeln

Lupinenwurzeln können den Stickstoff aus der Luft fixieren.

 Beatrice Peter

Beatrice Peter mit ihrem «Luliffee».

Gelingt es den beiden Pflanzen, sich gegen Unkraut und Krankheiten zu behaupten, werden die Samen und Bohnen gedroschen, voneinander getrennt und von allen Fremdstoffen befreit. Das übernimmt für Peter und Vásquez ein Nachbarsbauer, der die entsprechenden Maschinen für die Samenreinigung hat. Eine Rösterei aus Zürich kümmert sich um die Bohnen, bis sie den optimalen Geschmack haben. Dann kommen sie zurück auf den Grüthof. Und Peter und Vásquez verkaufen den fertigen Lupinenkaffee «Luliffee» über ihren Onlineshop an private Kundschaft. Im Bachsermärt in Zürich ist er zudem zu kaufen und in anderen Läden der Region.

Peter und Vásquez schätzen an der neuen Kultur, dass sie unabhängig sind und ihre Preise selbst bestimmen können. Das wollen sie beibehalten. Dafür nehmen sie den Mehraufwand gern auf sich, und sie freuen sich über das gute Gewissen und die Wertschätzung, die ihnen diese aussergewöhnliche Kaffeealternative bringt.
 

gruethof-wildensbuch.ch

kerngruen.ch             


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