Eine Kuh gibt Milch. Aber wussten Sie, dass eine Kuh regelmässig abkalben muss, damit sie Milch gibt? Wie das funktioniert und was es alles braucht, um qualitativ einwandfreie Milch auf den Markt zu bringen, zeigt ein Blick hinter die Kulissen des modernen Milchwirtschaftsbetriebs von Philipp Furrer im luzernischen Kleinwangen.
So kommt die Milch ins Glas
Bilder ― Oli Hallberg, Priska Fuhrer
und Attila Janes
Text ― Susanne Künsch
«Die Kühe haben jederzeit Zugang zum Roboter und können selbst entscheiden, wann sie gemolken werden möchten.»
Ein Grossteil der rund 50 Milchkühe von Meisterlandwirt Philipp Furrer liegt wiederkäuend im überdachten, offenen Boxenlaufstall. Ein überdimensionaler Ventilator sorgt für einen erfrischenden Wind. Der offene Zugang zur weitläufigen Weide ermöglicht es den Kühen, sich je nach Gusto im Freien aufzuhalten, sich im grosszügig angelegten Laufstall zu bewegen oder auf einem mit Stroh ausgelegten, separierten Liegeplatz wiederzukäuen. Im hinteren Teil des Stalls summt leise ein Melkroboter. Die Kühe haben jederzeit Zugang und können selbst entscheiden, wann sie gemolken werden möchten. Eine Wellnessoase für die schwarz-weiss gefleckten Holsteinkühe.
Was reingeht, kommt raus
Auf dem knapp 20 Hektaren grossen Familienbetrieb, der idyllisch in leichter Hanglage oberhalb vom Baldeggersee liegt, wird neben Milchwirtschaft zusätzlich Kälbermast, Ackerbau, Waldwirtschaft und im kleinen Stil Schweinemast betrieben. Das Futter für seine Milchkühe baut der 39-jährige Meisterlandwirt selbst an. «Die Lage hier ist ideal für den Futteranbau, etwa Mais und Getreide.» Seine Kühe werden hauptsächlich mit Heu, Gras- und Maissilage gefüttert. Hinzu kommen Mineralstoffe und Ergänzungsfutter wie Biertreber, das vitaminreiche Restprodukt aus der Bierherstellung, das der Bauer von der Brauerei Eichhof bezieht, dann Melasse, ein Nebenprodukt aus der Zuckerherstellung, und Eiweissschrot, ein Nebenprodukt aus der Ölproduktion. «Von einer bedarfsgerechten, ausgewogenen und gesunden Fütterung hängt alles ab, denn nur eine gesunde Kuh kann gute Milch produzieren», betont der Vater von Alina (7), Dario (5), und Simon (2½), der zusammen mit seiner Frau Michèle den Hof betreibt.
«Etwa vier bis sechs Wochen nach der Geburt des Kalbs ist die tägliche Milchleistung am höchsten und bleibt rund zwei Monate auf dem Niveau.»
Ohne Kalb keine Milch
Eine Kuh gibt zum ersten Mal in ihrem Leben Milch, wenn sie ihr erstes Kalb geboren hat. Etwa vier bis sechs Wochen nach der Geburt ist die tägliche Milchleistung am höchsten und bleibt rund zwei Monate auf dem Niveau. Bei den Holstein-Kühen von Philipp Furrer sind dies etwa 40 bis 50 Liter täglich. Damit die Kuh weiterhin Milch gibt, wird sie nach einer Ruhepause von rund drei bis vier Monaten erneut künstlich besamt. Damit die Vererbung der Merkmale besser kontrolliert werden kann, setzt der Landwirt auf künstliche Besamung mit in Stickstoff konserviertem Samen. Die Samen stammen aus einer zentralen Samenbank und werden vom Anbieter auf den Hof geliefert. Selbst besamen darf nur, wer für diesen Prozess eine spezielle Schulung absolviert hat. Eine Kontrolle durch den Tierarzt nach sechs bis acht Wochen stellt sicher, dass der Gesundheitszustand der Kuh intakt ist und die Besamung erfolgreich war. Dies sei in seinem Fall bei etwa acht von zehn Besamungen der Fall, führt Furrer aus. Nach neun Monaten wird das Kalb geboren, und der Kreislauf beginnt von neuem.
Aufzucht mit Muttermilch
In einer abgesonderten, ruhigen Bucht bringen die Kühe ihre Kälber zur Welt. «Immer wieder ein schönes Erlebnis», sagt Philipp Furrer. Unterstützend eingreifen bei der Geburt muss der Landwirt nur bei Kühen, die zum ersten Mal kalbern, seltener bei älteren Kühen. Nach der Geburt werden die Kälber von der Mutter getrennt und während einer Woche mit der besonders reichhaltigen Muttermilch, dem Kolostrum, getränkt, um so eine intakte Immunabwehr sicherzustellen. «Unsere Kälber werden nach drei bis vier Wochen Einzelhaltung im Schutziglu mit viel Einstreu und Sichtkontakt zu den anderen Kälbern wieder gemeinsam gehalten, so können sie sich an die Gruppe gewöhnen», erklärt Philipp Furrer. Gefüttert wird mit Kuhmilch, Ergänzungsfutter, Mineralstoffen und Heu. Da seine landwirtschaftliche Nutzfläche zu klein ist, um die weiblichen Kälber zur Nachzucht selbst grosszuziehen, wachsen sie auf einem anderen Hof auf, bis sie zweijährig sind. Kurz bevor das erste Mal kalbern angesagt ist, kommen sie zurück auf den Hof und werden in die bestehende Herde integriert. Anders die männlichen Kälber. Diese werden zum Teil mit Kuhmilch gemästet, bis sie reif für die Schlachtung sind.
Kontroverse Trennung von Kuh und Kalb
Immer wieder sorgt die frühe Trennung von Kuh und Kalb kurz nach der Geburt für Diskussionsstoff. Wie steht Milchbauer Furrer zu diesem kontroversen Thema? «Will man einen Milchwirtschaftsbetrieb führen, muss man sich im Vorfeld darüber im Klaren sein, welche Betriebsstrategie umgesetzt werden soll. Will man Mutterkuh- oder Ammenhaltung betreiben, oder wird die Milch an Milchverarbeiter geliefert? Entscheidet man sich für eine Strategie, müssen gewisse Qualitätsanforderungen eingehalten werden. Entsprechend sind die Auflagen und Vorschriften, die an jede einzelne Form gebunden sind. In der Milchwirtschaft, wie ich sie betreibe, gibt es bindende Hygienevorschriften zur Qualitätssicherung der Milch, die die Trennung von Kuh und Kalb voraussetzen.» Durch die Trennung werde das Kalb vor Krankheitserregern geschützt, die bei Kontakt mit Kotpartikeln der Kuh übertragen werden könnten. Das Immunsystem der Kälber sei nach der Geburt noch nicht widerstandsfähig, da die Produktion eigener Antikörper nur langsam innerhalb der ersten Lebenswochen beginne.
Dessert im Melkroboter
Seit zehn Tagen steht ein neuer Melkroboter im Boxenstall von Philipp Furrer. Beinahe lautlos, dabei effizient, hygienisch und vollbepackt mit Daten der gerade gemolkenen Kuh, verrichtet er seine Aufgabe absolut selbstständig. Wie kann man eine Kuh dazu bewegen, freiwillig in den Melkroboter, eine Art Box mit Ein- und Ausgangsklappen, zu stehen und sich melken zu lassen? «Kühe sind Gewohnheitstiere. Veränderungen mögen sie nicht. Es braucht etwa zwei bis drei Tage, bis die Kuh weiss: Aha, da werde ich gemolken. Dabei kann man sie mit etwas Ergänzungsnahrung, die sie sehr lieben, gleich einem Dessert, anlocken und muss sie anfangs langsam in Richtung Melkroboter treiben. Spielt man dieses Ritual ein paar Mal durch, verstehen sie bald, wie es funktioniert.»
Geht die Kuh zum Melkroboter, wird in einem ersten Schritt ihr Pedometer, ein mit einem Chip versehenes, schmales oranges Band am Vorderbein der Kuh, gescannt. Bevor die Melkbecher passgenau an die Zitzen geführt werden, erfolgt eine Reinigung jeder einzelnen Zitze mit einer vorher desinfizierten Bürste. Dies verhindert eine Bakterienübertragung auf die nächste Kuh im Melkstand. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, werden die Klauen gereinigt, was laut Furrer vorbeugend gegen Klauenkrankheiten hilft. Ist der Melkvorgang abgeschlossen, wird jede einzelne Zitze noch einmal desinfiziert.
«Anhand der Daten weiss ich jederzeit, welche Kuh wie viel Milch wann gegeben hat, sogar, wie viel Milch jede einzelne Zitze gibt.»
Technisierung erlaubt Flexibilität
Für den Bauern stellt ein Melkroboter eine grosse Entlastung dar, denn dank dem technischen Fortschritt im Stall bleibt dem Landwirt mehr Zeit für die Betreuung der Kühe. «Anhand der Daten weiss ich jederzeit, welche Kuh wie viel Milch wann gegeben hat, sogar, wie viel Milch jede einzelne Zitze gibt.» Nimmt die Milchmenge drastisch ab, weiss Furrer: da stimmt etwas nicht und kann schnell auf allfällige Krankheitszeichen reagieren. Die so gewonnene Milch wird auf vier Grad gekühlt, jeden zweiten Tag von der Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten ZMP im Tankwagen abtransportiert und zur Weiterverarbeitung an den Milchverarbeiter Emmi geliefert. Der Betrieb von Philipp Furrer produziert eine jährliche Milchmenge von 600000 Kilogramm. Seine Holstein-Kühe werden im Schnitt zwischen sechs und acht Jahre alt. Er habe jedoch bereits 16-jährige Kühe im Stall gehabt und Kühe, die für ihre Lebensleistungen von 100000 Kilogramm ausgezeichnet wurden. «Jeder Bauer hat ein Interesse an gesunden Kühen, denn geht es den Kühen gut, geht es dem Bauer gut», sagt Philipp Furrer.